Gernot Kocher, Das gesetzgeberische Umfeld der Malefitzfreiheiten für die Stadt Laibach/Ljubljana von 1514 :: Digitale Bearbeitung Heino Speer 2012

[Vorbemerkung zur digitalen Edition.]

Der Text der Abhandlung wurde mit freundlicher Erlaubnis des Autors aus dem Band "Marko Kombič, Malefične svoboščine Ljubljančanov 1514 ljubljanski kazenski sodni red [Titelvariante: Deren von Laibach Malefitzfreyhaittin], Ljubljana : Pravna Fakulteta Univerze v Ljubljani, 2005" gescannt und mit Hilfe eines OCR-Programms (Omnipage 18) in einen Volltext umgewandelt, der durch den Herausgeber korrigiert wurde. Eventuelle Lese- und andere Fehler sind daher mir zuzurechnen; ein Hinweis auf derartige Fehler würde die Qualität weiter verbessern.
Heino Speer :: 31. Juli 2012

I.

Als am 20. August 1514 von Maximilian I. "Deren von Laibach Malefitzfreyhaittn" erlassen wurden,1 war das nicht der erste Akt eines Landesfürsten, der sich mit der Strafrechtspflege der Stadt Laibach/ Ljubljana beschäftigt hatte, denn Herzog Rudolf IV. übertrug 1364 dem Richter in Laibach/Ljubljana die Blutgerichtsbarkeit über bestimmte Personengruppen.2 Dann beschäftigte sich der Landesfürst als Stadtherr mit Laibach/Ljubljana überwiegend3 im wirtschaftlichen Zusammenhang,4 bis dann 1450 in einem Kompetenzkonflikt zwischen Stadtgerichtsbarkeit und der Deutschordenskommende wieder die Strafrechtspflege zum Thema wurde.5 In Sachen, die "den Tod berurn" ist der Täter dem Stadtrichter auszuliefern. Im weitesten Sinn die Rechtspflege, und damit auch das Strafverfahren, betraf die Regelung der Wahl von Richter und Rat in Laibach/Ljubliana 1472 durch Friedrich III., um künftig "gut ordnung" zu erhalten.6 1482 verfügte dann Friedrich III. allgemein für seine Länder eine Aufhebung des Asyles für Täter, die einen Totschlag oder "andere Unzucht" begangen hatten und teilte dies auch der Stadt Laibach/Ljubljana mit.7

Es waren also im wesentlichen Detailfragen, die im Hinblick auf die Strafrechtspflege in Laibach/Ljubljana von "oben" geregelt worden sind. Unwillkürlich drängt sich natürlich die Frage auf, wie denn dann überhaupt die Strafrechtspflege in einem solchen Gemeinwesen ohne (eine heute gewohnte) ausführliche Regelung funktionieren konnte. Die Antwort darauf ist einfach, denn sie trifft letztlich für alle mittelalterlichen Gemeinwesen zu — die allgemeinen Spielregeln liefert die landrechtliche Ebene, entweder als ungeschriebenes Gewohnheitsrecht oder auch schriftlich fixiertes Recht, wie etwa die Landesordnung für Kärnten8 oder das Österreichische beziehungsweise Steiermärkische Landrecht.9 Dass dies — nach modernen Vorstellungen — keine sichere juristische Arbeitsgrundlage war, zumal ja auch die landrechtlichen Aufzeichnungen nur partielle Regelungen boten,10 ergibt sich aus einigen im 14. und 15. Jahrhundert ergangenen Urteilen, Schiedssprüchen, Privilegien und Gesetzgebungsakten, die immer wieder Einzelfragen der Strafrechtspflege erläutern oder überhaupt den Kompetenzrahmen, aber auch die Geldfrage, die ständig eine große Rolle spielt, anschneiden: So fällt 1337 der Landeshauptmann der Steiermark, Ulrich von Walsee, einen Schiedsspruch in einem Streit über die Ausübung der Gerichtsbarkeit zwischen dem Bischof von Freising als Inhaber der städtischen Gerichtsbarkeit in Oberwölz und Rudolf von Liechtenstein als Inhaber des Landgerichtes,11 wobei es [Seite: 54] hier im wesentlichen um drei Punkte geht: Einmal um das Verfahren mit sieben Urteilern12 bei der Bestimmung, ob der in der Stadt Gefangene eine causa maior begangen hat und daher der Gerichtsbarkeit des Landrichters unterliegt. Der zweite wichtige Punkt ist die Frage, unter welchen Bedingungen der Landrichter einen Täter direkt in der Stadt ergreifen darf.13 Der dritte Punkt betrifft die übliche Geldfrage: Wem die Bußen gehören: Dem Landrichter bei Sachen die den Tod "berühren" und beim "Schwertzucken", wenn sie von Fremden in der Stadt begangen werden. In eine ähnliche Richtung geht auch die Urkunde des Erzbischofs Pilgrim von Salzburg von 138714 über die Kompetenzen der Land- und Urbarrichter: Dem Landrichter sind jene Täter "mit dem Gürtel umfangen"15 auszuliefern, die Totschlag, Diebstahl oder Notzucht (sogenannte "Formel von den drei Sachen16) begangen haben, der Urbarrichter kann jedoch das Vermögen einziehen; über Fremde hat der Landrichter die volle Zuständigkeit. Die Urkunde Friedrichs III. für die steirischen Stände von 144517 — auf der Basis von Landtagsverhandlungen — sieht für den Bereich der causae maiores nunmehr vor, dass der Richter eine entsprechende Gebühr bekommt und der Kläger die Unterhaltskosten für den Angeklagten zu tragen hat. Gibt es keinen Kläger, bekommt der Richter jedenfalls den "Fürfang", also seine Gebühr und die Entscheidung, ob er ein Verfahren eröffnet, liegt bei ihm.18 Für den Fall todeswürdiger Verbrechen darf der Richter nur die Leibesstrafe verhängen, also keine Geldbuße nehmen.19 Interessant ist, dass sich der Landesfürst für sein Landgericht Wolkenstein eine eigene Regelung vorbehält, was zeigt, dass — zumindest der Landesfürst — zu diesem Zeitpunkt von einer landesweit einheitlichen Regelung noch weit entfernt ist. Eher kurz, ohne Eingehen auf problematische Details, hält man sich von landesfürstlicher Seite bei der Verleihung der Landgerichtsbefugnisse, wie etwa für das Stift Melk in Wolfstein (1448)20 oder für das Bistum Laibach/Ljubljana (1470)21 in Oberburg und Görtschach: Auf die Hochgerichtsbarkeit bezieht sich in beiden Urkunden die Bezeichnung "sachen die den todt ... berüren"22 bzw. "uber das plut besitzen und daruber gerichten"23 sowie die Verleihung von "Stock und Galgen".24

II.

Im allgemeinen wird in der Literatur das erwachende Interesse der Landesfürsten für die allgemeine Strafrechtspflege etwa ab der Mitte des 15. Jahrhunderts angesetzt,25 man darf dabei aber nicht übersehen, dass die alte, seit dem frühen Mittelalter nachweisbare herrscherliche Friedenswahrungspflicht26 natürlich auch eine strafrechtliche Komponente hat, wozu dann noch die in der Blutbannverleihung sich äußernde grundsätzliche landesfürstliche Gerichtshoheit kommt.

Das Besondere an der Entwicklung seit der Mitte des 15. Jahrhunderts sind aber die immer umfangreicher werdenden landesfürstlichen gesetzgeberischen Aktivitäten, in deren Rahmen auch die Malefizordnung für Laibach/Ljubljana gehört.27 Sie ist nicht die erste in dieser neuen Aktivitätenreihe und bei weitem auch nicht die letzte. Wenn man den innerösterreichischen Raum (Steiermark, Kärnten und Krain) in seiner ursprünglichen Ausdehnung betrachtet, so ist ein erster Ansatzpunkt die Landgerichtsordnung für das Landgericht Wolkenstein im Ennstal (1478),28 sieht man von dem auf Bitten der Stände auf der Grundlage von Landtagsbeschlüssen ergangenen Privileg von 144529 ab. Dann folgt die Ordnung für Laibach/Ljubljana und erst 1535 ergeht dann die Landgerichtsordnung für das Herzogtum Krain.

Erweitert man den Betrachtungskreis auf die Gesamtheit der altösterreichischen Länder, dann liegen vor der Laibacher Ordnung noch die Malefizordnungen für Tirol 1499 und für Radolfszell 1506.30 Im Entstehungsjahr der Laibacher Malefitzfreiheiten wird dann auch noch die Landgerichtsordnung für Österreich unter der Enns publiziert. Mit der Ordnung für Österreich unter der Enns ist auch eine Wandlung der Bezeichnung vom Grundbegriff "Malefiz" zum Terminus "Landgericht" verbunden, was gleichbedeutend ist mit einem Übergang von der deliktischen Orientierung ("Malefiztat" = Bluttat) zu einer territorialen Ausrichtung (Landgericht31 = territoriale Gerichtseinheit mit primär strafrechtlicher Ausrichtung. Das wird wohl auch als Indiz in Richtung Verstaatlichung der Strafrechtspflege zu sehen sein und darin zeichnet sich auch ein inhaltliches Umdenken an, dessen Vollendung noch bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts dauert und sich noch in einer Reihe von Landgerichtsordnungen niederschlägt: 1535 für Krain, 154032 für Österreich unter der Enns, 1559 für Österreich ob der Enns, 1573 für Tirol,33 1574 für Steiermark34 und 1577 für Kärnten. Geht man über die altösterreichischen Länder hinaus, so kann man etwa die Constitutio Criminalis Bambergensis von 1507 und die Constitutio Criminalis Carolina von 1532 als allgemein entwicklungsrelevant in den Betrachtungskreis einbeziehen. [Seite: 55]

III.

Es handelt sich also um einen Zeitraum von rund einhundert Jahren, der das Umfeld der Laibacher Malefizfreiheiten bildet, wobei sich die Unterschiede dieser strafrechtlichen Aufzeichnungen nicht nur in der Titulatur (bis 1514 Malefizordnungen bzw. -freiheiten) und in der Folge dann (mit der Ordnung für Österreich unter Enns 1514) "Landgerichtsordnungen" erschöpfen. Da wäre zuerst einmal das auslösende Moment für den gesetzgeberischen Akt zu suchen, soweit sich in den Quellen selbst Informationen35 finden.

Das Ersuchen der Landstände war auslösend für die Tiroler Malefizordnung 1499,36 die Radolfszeller Ordnung von 1506 wurde auf Bitten von Stadt und Vogtei initiiert. Die Laibacher Malefizfreiheiten werden durch die Bitte von Bürgermeister, Richter und Rat ausgelöst und die Landgerichtsordnung für Krain 1535 durch das Ersuchen der Landstände, wobei hier auch die herrscherlicher Rechtswahrungspflicht hereinspielt.

Herrscherliche Schlichtungsfunktion war auslösend bei der Landgerichtsordnung für das Landgericht Wolkenstein 1478 sowie bei der Landgerichtsordnung für Österreich unter der Enns 1514.

Wahrnehmung der Herrscherpflicht im Sinne einer "gottgefälligen" Rechts- bzw. Friedenswahrung spielten 1535 bei der krainischen Landgerichtsordnung, 1559 bei der obderennsischen Landgerichtsordnung sowie 1574 bei der Landgerichtsordnung für das Herzogtum Steiermark eine Rolle. Bei der Neuauflage der Landgerichtsordnung für Österreich unter der Enns 1540 wie auch bei der Tiroler Landgerichtsordnung (8. Buch der Landesordnung 1573) kommt — weniger klar ausgesprochen — ebenfalls die Wahrnehmung der Herrscherpflicht zum Tragen.

Welche konkreten Veranlassungen standen nun hinter diesen auslösenden Faktoren? Bei Wolkenstein 1478 ging es um Streitigkeiten zwischen Landrichter und Gerichtseinwohnern in Bußenfragen. Viel tiefgehender waren die Motivationen bei der Tiroler (1499) und der Radolfszeller (1506) Ordnung: Für beide wird kritisch angemerkt, die Urteilsgrundlage sei bis jetzt nur das Gewissen der Urteiler, was bisher wohl ausgereicht haben mag, angesichts der Veränderung der Delikte und auch geänderter Verantwortungsstrategie der Täter aber zu einer unsicheren und unzuverlässigen Strafpraxis geführt habe. Für die Malefizfreiheiten der Stadt Laibach/Ljubljana werden ganz dieselben Gründe angeführt, während für die im gleichen Jahr 1514 publizierte niederösterreichische Landgerichtsordnung Meinungsverschiedenheiten über die Strafrechtspflege zwischen den Grundherren als Inhabern der Niedergerichtsbarkeit und den Inhabern der Landgerichtsbarkeit als konkreter Grund der Niederschrift angeführt werden. Ähnliches gilt für die Landgerichtsordnung für Krain 1535, nur wird hier näher konkretisiert: Die Landgerichte arrogieren Kompetenzen der Grundherrn und verstoßen damit gegen die landständischen Freiheiten. Genau derselbe Vorwurf ist die Ausgangsposition für die Landgerichtordnung für Österreich ob der Enns 1559, während man für die unterennsische Landgerichtsordnung 1540 nur einen gewissen Aktualisierungsbedarf angibt. In der in der Tiroler Landesordnung 1573 im 8. Buch enthaltenen Landgerichtsordnung bleibt man bei der 1499 schon festgestellten Argumentation über die unzureichende Rechtsgrundlage für das Strafverfahren. Ungleichmäßigkeit in der Landgerichtsbarkeit bzw. Kompetenzprobleme werden als Grund für die gesetzliche Regelung in der Steiermark 1574 angegeben, während für die Regelung in Kärnten 1577 nur Verbesserungsbedarf erwähnt wird.

Zieht man ein vergleichendes Summarium für das auslösende Moment und die gesetzgeberische Motivation mit den "Leitquellen" im Heiligen Römischen Reich, der Bambergensis 1508 und der Carolina 1532 mit ihren Vorstufen, so ist auslösend für die Bambergensis die Herrscherpflicht und die "Förderung des gemeinen Nutzens", während in der Carolina das Ersuchen der Kurfürsten, Fürsten und anderen Stände angeführt wird. Die Motivation ist bei beiden Quellen dieselbe, nämlich die Unzulänglichkeit der bestehenden Strafrechtspflege, in der Bambergensis insbesondere Unwissenheit und mißbräuchliche Gewohnheiten, resultierend aus der Besetzung der Gerichte mit juristisch in keiner Weise gebildeten Personen. Insgesamt zeigt sich für die beiden Ansatzpunkte, Auslösung und Motivation doch eine gemeinsame Linie, nämlich die generelle Unzufriedenheit mit der Strafrechtspflege überhaupt, wobei diese in zwei Richtungen geht, einerseits die mangelnde sichere Rechtsgrundlage und deren unprofessionelle Anwendung (bedingt durch die juristisch nicht gebildeten Gerichtspersonen), anderseits die aus dem bestehenden Gerichtssystem resultierenden Detailprobleme, die meist [Seite: 56] ihre Wurzeln in mit Kompetenzfragen verquickten Geldproblemen haben. Das letztere Problem ist jedenfalls das ältere, das — wie die Belege oben gezeigt haben — schon im 14. Jahrhundert präsent ist und auch im Zusammenhang mit den ständischen Freiheiten zu sehen ist, während die generelle Unzufriedenheit erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts auftaucht, was für die österreichischen Länder wohl auch in Verbindung mit den Reformtendenzen im Reich zu sehen sein wird. Jedenfalls bewegt sich die Laibacher Ordnung von 1514, was auslösendes Moment und Motivation betrifft, auf der Ebene der Tiroler und Radolfszeller Ordnungen und letztlich auch auf der Ebene der beiden Leitmodelle aus dem Reich, der Bambergensis und der Carolina.

IV.

Ein letzter Vergleichspunkt ist der gesetzgeberische Vorgang als solcher: Die Ordnung für das Landgericht Wolkenstein von 1478 ist eindeutig ein herrscherlicher Rechtssetzungsakt: "ain ordnung gemacht und gesetzt", wobei sich der Herrscher die freie Veränderung vorbehält. Auch in den Ordnungen für Tirol 1499 und Radolfszell 1506 ordnet und setzt der Herrscher "von Fürstlicher macht". Wenn man sich den Befund über Auslösung und Motivation in Erinnerung ruft, ist es nicht verwunderlich, dass auch die Ordnung für Ljubljana von 1514 vom Landesfürsten angeordnet und "von furstlicher macht wissentlich in krafft" gesetzt ist. Auf ähnlichem Niveau bewegt sich die Ausdrucksweise in der Landgerichtsordnung für Österreich unter der Enns 1514, wo der Landesfürst mit Vorwissen und gutem Willen der beiden Parteien eine Ordnung "gemacht, gegeben und aufgericht" hat — wobei er sich das Änderungs- und Ergänzungsrecht aber vorbehält. Diese Linie wird auch in der in die Tiroler Landesordnung integrierten Malefizordnung beibehalten, wo aus "landesfürstlicher Macht" auf Bitten der Stände eine "Ordnung gemacht" wurde. Auch für Krain 1535 wird auf Bitten der Landstände eine "Ordnung gegeben", wobei sich Ferdinand hier auf das von Gott verliehene Amt mit der Verpflichtung beruft, den Untertanen gleiches Recht zukommen zu lassen. Die Landgerichtsordnung für Österreich unter der Enns 1540 bleibt in ihrem Ton gleich wie die Fassung aus 1514, während jene für Österreich ob der Enns von 1559 auf die gemeinsame Erarbeitung durch Landesfürst und Stände Bezug nimmt, die Ordnung aber dann auf der Basis "landesfürstlicher Machtvollkommenheit" in Kraft gesetzt wird. Für die Steiermark ist die Situation 1574 ähnlich, hier bezieht man sich auf den Rat der Landstände und setzt aus "landesfürstlicher Macht" in Kraft. Die letzte in dieser Untersuchungsreihe, die Kärntner Landgerichtsordnung 1577, wird nach der Bitte der Landleute aus "Landesnotdurft" mit einem Änderungsvorbehalt "geordnet und gegeben". Wirft man einen Blick auf die Vergleichsebene im Reich, so liegt die Bambergensis auf ganz gleicher Linie wie die erbländischen Ordnungen: "Seczen, ordnen und machen" auf der Grundlage der vom König empfangenen Gewalt findet sich hier. Zum Teil aus dem bisherigen Rahmen fällt die Carolina, in der wohl auf das gemeinsame Zusammenwirken zwischen König und Reichsständen Bezug genommen wird und den Kurfürsten, Fürsten und Ständen ihre althergebrachten Rechte nicht verkürzt werden sollen, aber von königlicher Macht oder Rechtsetzungshoheit ist hier nicht die Rede.

Das Ergebnis aus diesem Vergleich zeigt in der Reichsgesetzgebung die schwache gesetzgeberische Position des Herrschers, während in den Ländern die Ordnungen von 1478 (Wolkenstein), 1499 (Tirol), 1506 (Radolfszell), 1507 (Bambergensis) und 1514 (Ljubljana) die gesetzgeberische Position des Landesfürsten in Fortsetzung mittelalterlicher Gegebenheiten zeigen: Ein Vergleich mit älteren Quellen, etwa dem Österreichischen Landrecht ("Wir seczen und gepieten"),37 oder der Kärntner Landesordnung 1338 ("daz wir in darzue von newen dingen etlicheu recht geben") oder der Stadtordnung für Judenburg 1433 ("haben wir ... unser stat ain ordnung und satzung gemacht") zeigt die mittelalterliche Traditionslinie. Mit der Landgerichtsordnung für Österreich unter der Enns 1514 beginnt die Erwähnung des Zusammenwirkens mit den betroffenen Gruppen, den Ständen, einzufließen, dem das Inkraftsetzen aus landesfürstlicher Machtvollkommenheit entgegengesetzt wird.38

Versucht man auf Grund dieser vergleichenden Überlegungen eine vorläufige Einordnung39 der Malefizfreiheiten für die landesfürstliche Stadt Laibach/Ljubljana in das zeitgenössische Umfeld, so ist sie vom gesetzgeberischen Hintergrund her gemeinsam mit den Ordnungen von Wolkenstein, Tirol und Radolszell auf einer mittelalterlichen Traditionslinie, was für die folgenden Ordnungen nicht mehr [Seite: 57] behauptet werden kann, denn für diese schlägt — ungeachtet des Wiener Neustädter Blutgerichtes von 1521 — das geänderte politische Beziehungsfeld zwischen Landesfürst und Ständen durch. Mit sämtlichen verglichenen Ordnungen auf einer Ebene, wiederum der mittelalterlichen Tradition, finden sich die Laibacher Malefizfreiheiten im Hinblick auf die auslösenden Faktoren (Bitte der Rechtsunterworfenen bzw. Stände) und der sachlichen Motivation: Meinungsverschiedenheiten auf der komplizierten, auf der Scheidung von Hoch- und Niedergerichtsbarkeit beruhenden und stark finanziell orientierten40 Kompetenzebene; diese Faktoren setzen sich auch in den Landgerichtsordnungen des späteren 16. Jahrhunderts fort. Reformansätze — und damit mit der mittelalterlichen Linie brechend — zeigen sich in der allgemeinen Kritik an der Rechtsprechung, sowohl Rechtsgrundlagen als auch Urteiler betreffend41 — hier weisen die Verbindungslinien schon in die Zukunft, die teils eigenständig,42 teils von der Carolina und ihren Prinzipien bestimmt werden, Prinzipien, die in den erbländischen Landgerichtsordnungen erst ab der Mitte des 16. Jahrhunderts wirklich zum Tragen kommen.

ABKÜRZUNGEN

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LITERATUR

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Baltl, Hermann - Kocher, Gernot: Österreichische Rechtsgeschichte unter Einschluß sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Grundzüge: von den Anfängen bis zur Gegenwart (10. Auflage). Graz : Leykam, 2004.
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1. Für die Textausgabe vgl. die Transkription in diesem Band.

2. Schwind-Dopsch, Ausgewählte Urkunden zur Verfassungs-Geschichte, Nr. 116. Vgl. auch Otorepec — Matić, Izbrane listine, Nr. 3.

3. Über Probleme bei der Richtereinsetzung, die ja nicht nur das Strafrecht, sondern die gesamte Rechtspflege betreffen, vgl. die Urkunden bei Otorepec — Matić, Izbrane listine, Nr. 6 und 7; um richterliche Verantwortung geht es in Nr. 9.

4. Ebd., Nr. 4, 5, 8, 10, 11, 14.

5. Ebd., Nr. 15.

6. Schwind-Dopsch, Ausgewählte Urkunden zur Verfassungs-Geschichte, Nr. 212.

7. Otorepec — Matić, Izbrane listine, Nr. 20.

8. Textausgabe bei Schwind-Dopsch, Ausgewählte Urkunden zur Verfassungs-Geschichte, Nr. 94.

9. Über diese landrechtlichen Quellen Baltl-Kocher, Österreichische Rechtsgeschichte, S. 116f.

10. Vgl. als gutes Beispiel hierfür den Text der Kärntner Landesordnung, die neben ausführlichen privatrechtlichen Bestimmungen über die Liegenschaftsgewere dann das Strafrecht punktuell — also nicht generell, sondern problemorientiert — regelt, Schwind-Dopsch, Ausgewählte Urkunden zur Verfassungs-Geschichte, Nr. 94.

11. Ebd., Nr. 93.

12. Die Grundbewertung, ob eine dem Landgericht zugehörige Tat vorliegt, führt der Stadtrichter mit fünf Urteilern durch, während der Landrichter dann mit zwei weiteren, also insgesamt sieben Urteilern das Verfahren beendet.

13. Nicht das Strafrecht berühren die Erörterungen, unter welchen Bedingungen die Kompetenz in allen Angelegenheiten vom städtischen Richter an den Landrichter übergeht.

14. Schwind-Dopsch, Ausgewählte Urkunden zur Verfassungs-Geschichte, Nr. 143.

15. Eine Standardformulierung in der mittelalterlichen und neuzeitlichen Strafrechtspflege (vgl. auch die Schlichtungsurkunde für Oberwölz, Schwind-Dopsch, Ausgewählte Urkunden zur Verfassungs-Geschichte, Nr. 93, Zeile 27), die bedeutet, dass keinerlei Vermögenswerte, auch nicht die Kleider, an den Landrichter auszuliefern sind, diese verbleiben dem ausliefernden Richter bzw. Grundherrn.

16. Baltl-Kocher, Österreichische Rechtsgeschichte, S. 98 sowie Baltl, Die ländliche Gerichtsverfassung Steiermarks, S. 57ff.

17. Darüber Baltl, Die Landgerichtsordnung für Wolkenstein, S. 17.

18. Ebd., sieht das als eine Fortsetzung alter Traditionen an.

19. Nach Baltl, Die Landgerichtsordnung für Wolkenstein, S. 27, eine Neuerung.

20. Schwind-Dopsch, Ausgewählte Urkunden zur Verfassungs-Geschichte, Nr. 192.

21. Ebd., Nr. 209.

22. Ebd., Nr. 192, Zeile 36f.

23. Ebd., Nr. 209, 398, Zeile 21 f.

24. Ebd., Zeile 24 sowie Nr. 192, Zeile 39.

25. Baltl, Die Landgerichtsordnung für Wolkenstein, S. 17, sowie ders., Beiträge zur Geschichte der steirischen und österreichischen Strafrechtskodifikationen, S. 24 f.

26. Die seit der Ausbildung des Landesfürstentums auf Grund der Reichsgesetze von 1220 bzw. 1231/32 auch von diesen wahrzunehmen war, vgl. Merzbacher, Art. Landesherr, Landesherrschaft. HRG I, Sp. 1383ff.

27. Vgl. den Überblick über die Landgerichtsordnungen bei Baltl-Kocher, Österreichische Rechtsgeschichte, S. 153f., sowie bei Horrow, Grundriß des österreichischen Strafrechts, und Baltl, Beiträge zur Geschichte der steirischen und österreichischen Strafrechtskodifikationen, S. 24 f.

28. Darüber Baltl (wie Anm. 16), S. 13-22.

29. Baltl (wie Anm. 16), S. 17.

30. Darüber Schmidt, Die Maximilianischen Halsgerichtsordnungen; Holzhauer, Art. Radolfszeller und Tiroler Halsgerichtsordnung, HRG IV, Sp. 140 ff.

31. Vgl. etwa die Präambel zur Ordnung des Landgerichtes Wolkenstein in ÖW VI, 29, Zeile 2 f. "als etlich zeit zwischen unseren lantrichtern zu Wolckenstain im Ennstall ains, und den burgern und Leuten daselbs im Ennstall so in dasselb unser lantgericht gehorn des andern tail, ...". Zum Begriff des Landgerichtes aus unterschiedlichen Blickwinkeln Baltl, Die ländliche Gerichtsverfassung Steiermarks, S. 77ff.

32. 1540 und 1549 in Wien bei Matth.(ias) und Joh.(ann) Singrinner gedruckt.

33. Als 8. Buch der Landesordnung.

34. Über die Fassung von 1546: Baltl, Beiträge zur Geschichte der steirischen und österreichischen Strafrechtskodifikationen, S. 24 ff.

35. Die Fundstelle in den jeweiligen Ordnungen ist in der Regel die Präambel, manchesmal finden sich auch Hinweise am Ende des Normenkataloges im Vollstreckungsbefehl.

36. Wiederholt im 8. Buch der Landesordnung.

37. Hasenöhrl, Österreichisches Landrecht, S. 263, § 1.

38. Vgl. dazu die Fassung der Steirischen Landgerichtsordnung von 1546, wo im ständischen Schreiben an den Landesfürsten die Bitte geäußert wird, den übersandten Text zu überprüfen, nach Gefallen "zu mindern oder meren", mit Ausnahme der landständischen Freiheiten, und dann gnädigst zu bestätigen, bei Baltl, Beiträge zur Geschichte der steirischen und österreichischen Strafrechtskodifikationen, S. 27.

39. Eine endgültige Einordnung wird sich wohl erst nach einer genauen vergleichenden Analyse treffen lassen.

40. Vgl. über den Kostenfaktor und den damit zusammenhängenden Widerstand der Stände die Bemerkungen bei Baltl, Die Landgerichtsordnung für Wolkenstein, S. 19f.

41. Über die konkreten inhaltlichen Reformbedürfnisse: Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 449f.; Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 86ff. Vgl. auch Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Bd. 1.

42. Vgl. die Überlegungen und Ausführungen bei Baltl, Beiträge zur Geschichte der steirischen und österreichischen Strafrechtskodifikationen, S. 33. Zu beachten ist auch die ebd., S. 24, vertretene Auffassung über einen zentralen strafrechtlichen Kodifikationsplan für die habsburgischen Länder.